Gemäß dem Motto dieses Blogs, möchte ich als Älterer eigene Erfahrungen und Einsichten, aber auch Meinungen zum „Web 2.0“ darlegen. Sie sind selbstverständlich subjektiv, mit objektiven Einsprengseln.
Als ich erstmals von einem „Web 2.0“ hörte, dachte ich spontan an neue „Hypes“, wie wir sie schon öfter, vor allem aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten kommend, erlebt haben. Vorzugsweise in Bereichen, von denen niemand so recht weiß, worum es geht. Weder inhaltlich, noch sprachlich. Zum Thema „Web 2.0“ und was es ist, gibt es sehr umfangreiche Literatur. Offenbar gibt es Klärungsbedarf.
Daß das „Web 2.0“ noch dazu von einem amerikanischen Verleger einschlägiger Literatur und Marketingmann propagiert wurde, ließ meine Aufmerksamkeit schlagartig erlahmen. Ein deja-vu-Erlebnis, wie man es nach einem langen Menschenleben gelegentlich hat.
Daß es für alles und jedes natürlich unverzüglich Begeisterte gibt, ist nichts Neues. Auf diese naive Begeisterung komme ich noch zurück.
Bemerkenswert, daß das ausgerufene „Web 2.0“ natürlich nichts völlig Neues darstellt. Einzig die technische Weiterentwicklung und die damit assoziierten neuentwickelten Programme bieten ebenso neue Anwendungsmöglichkeiten im Netz. Nach dieser Prämisse müsste inzwischen schon „Web 5.0“ oder eine noch höhere Zahl ausgerufen werden. Nach oben wäre demnach keine Grenze gesetzt. Jede Neuentwicklung = neues Web. Die Möglichkeiten der Neuentwicklungen müssen natürlich dem potentiellen Anwender verkauft werden, Unternehmen sind ständig auf der Suche nach Märkten. Etliche Unternehmen, wie häufig im Dunkel stochernd, sahen das „Web 2.0“ als Werbeumfeld, in dem sich angeblich mühelos Abermillionen Menschen erreichen ließen. Die zudem offenbar, aber ohne Nachweis, als kaufkräftig und vor allem kaufwillig angesehen werden.
Neben altbekannten Anwendungen im Netz wie Arbeitssuche, Versteigerung und Einkauf von Waren, sollten sich mir abwegig erscheinende Plattformen wie „second life“ etablieren. Fabuliert wurde von Menschen, die sich im Netz eine „neue Identität“, zu welchem Zweck immer, zulegen sollten. Wie unsicher die Werbewirtschaft und die Unternehmen über den Erfolg solcher Plattformen war, obwohl die praktische Vernunft nicht unbedingt dafür sprach, zeigt das Einsteigen großer Konzerne wie Mercedes Benz und die Deutsche Post, um nur zwei Beispiele zu nennen. Selbst Verlage ließen sich nicht abhalten. Erhebliche Summen für Plattformen oder Anteile daran wechselten den Besitzer. Daß man ernsthaft annahm, „Avatare“ würden sich nun als besonders kauffreudig erweisen, läßt tief in die Psyche und Ausbildung der Marketingleute blicken. Vielleicht verbunden mit der Befürchtung, ein Medium für Absatz zu verpassen, von dem manche schwärmen und ihm eine große Zukunft voraussagen. Allerdings nur solche, die selbst merkantile Interessen verfolgen. Letzteres blieb unberücksichtigt. Ebenso der gesunde Menschenverstand.
Das Werben mit der Möglichkeit, „Freunde“ auf derartigen Plattformen zu finden, und das massenhaft, ist eher mit dem Pfeifen im Wald vergleichbar. „Freunde“ wurden dementsprechend auch Menschen genannt, die auf diesen Plattformen Personen mit eher gleichen Interessen und Ansichten kennenlernten. Das wäre im Übrigen kein „neues Web“, da solches auch in Chats aus der guten alten Zeit möglich war. Diese Gruppen von Freunden sollten mit Werbebotschaften überschüttet werden. Daß ein normaler Mensch keine Freunde ohne Zahl und schon überhaupt nicht in fremden Ländern, Sprachen und Kulturen haben kann, blieb merkwürdigerweise kommentarlos. Höchstwahrscheinlich deshalb, weil sich Unternehmen eigene Gruppen schufen. Einer pries die Qualität eines Produktes, seine angeblichen „Freunde“ behaupteten, es ebenfalls erworben zu haben. Das sollte suggerieren, das Produkt wäre empfehlenswert und viel gekauft.
Da Menschen nicht immer derartig einfältig sind, solche Manipulation nicht zu durchschauen, ging die Zahl der aktiven „Avatare“ extrem schnell zurück. Die F.A.Z. schrieb schon im Juli 2007 in einer Überschrift „Der Avatar ist oft allein“ und im Dezember 2007 über StudiVZ „Viele Klicks, wenig Gewinn“ mit der Unterzeile „Es bedient die Eitelkeit von Jugendlichen. Doch das allein reicht nicht zum Geldverdienen“.
Um meine Aussagen weiter zu belegen, weitere Berichte: F.A.Z. 28. April 2008 „Facebook verpatzt Deutschland-Start“ Unterzeile „Nur geringer Zuwachs/Begeisterung für Netzwerke flacht ab“.
Die Frage ist, wer begeistert war.
Die Marketingzeitschrift „Horizont“ schreibt Anfang 2008 „Mercedes Benz verabschiedet sich aus second life“. „Ein Jahr nach Eröffnung einer virtuellen Dependance in second life kehrt Mercedes Benz der Online-Community den Rücken“. Was war wohl die Absicht der Teilnahme?
Apropos „Community“ und Sprache. Die meisten Programme im Netz sind amerikanischen Ursprungs oder werden von vorneherein für den „Weltmarkt“ in englischer Sprache entwickelt. Für die einzelnen Länder werden übersetzte Versionen angeboten, die aus Bequemlichkeit teilweise mangelhaft, bzw. unvollständig übersetzt sind. Mich berührt peinlich, wenn sich gestandene, gebildete und lebenserfahrene, deshalb meist ältere Menschen, diesen Vorgaben willig beugen und offenbar meinen, nur so wären sie auf der Höhe der Zeit und noch nicht auf dem Altenteil. Gerne übernimmt man als „Kenner“ die vorgegebenen Bezeichnungen. Die mangelnde Selbstsicherheit, das fehlende kulturelle Selbstbewußtsein, das anscheinend vergessene Wissen, einer alten europäischen Kultur und einer seiner ausgeprägtesten Sprachgemeinschaften anzugehören, das festzustellen ist beinahe verstörend. Allzu willig wird die Nomenklatur übernommen, wobei gelegentlich die Bedeutung der englischen Begriffe undeutlich oder ganz unklar ist.
Einzig die Anwendung und das Angebot werden, wie schon seit ewigen Zeiten, Erfolg haben, die von den Menschen gebraucht und als sinnvoll angesehen werden. Marketinggetriebene und aus durchsichtigen Gründen empfohlene, ja aufgedrängte Angebote werden untergehen. Ob mit oder ohne großem Geschrei davor. Ich sehe beglückt, wenn dem Menschen fremde Verhaltensweisen keinen Anklang finden und sei der kommerzielle, psychische und finanzielle Druck seitens der Interessenten noch so groß.
Ihr, die Ihr hier eintretet, lasset nicht alle Hoffnung fahren...
P.A.